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Renaissance der Straßenbahn

Aktualisiert: 1. Feb. 2021

1987 wurde in Wuppertal die letzte Straßenbahnlinie stillgelegt. Damit verschwand nach fast 90 Jahren eines der einst größten deutschen Straßenbahnnetze endgültig von der Bildfläche. Während zu diesem Zeitpunkt in Deutschland noch in der Verkehrsplanung das Leitbild der Autogerechten Stadt herrschte, bei dem die Straßenbahn im Weg war, begann in den USA und Frankreich längst ein Umdenken, angestoßen durch die beiden Ölkrisen in den 1970er Jahren: Es wurden stillgelegte Straßenbahnnetze reaktiviert oder wieder aufgebaut! Dieses Umdenken wird ab den 1990er Jahren als „Renaissance der Straßenbahn“ bezeichnet. Aber wie kam es dazu?

In Jersey City fahren seit den 1980er Jahren wieder Straßenbahnen. (Quelle: Pixabay)

In den USA waren seinerzeit, unter anderem aufgrund des Großen Amerikanischen Straßenbahnskandals, spätestens nach 1960 nahezu alle Straßenbahnnetze stillgelegt worden. Jedoch fiel bereits Anfang der 1970er Jahre auf, dass die eingerichten Buslinien den Pendlerverkehr nicht ausreichend stemmen konnten, wobei der motorisierte Individualverkehr unkontrollierbar wurde. Zeitgleich entstanden in vielen deutschen Städten, die sich für den Erhalt der Straßenbahn entstanden, die teilweise metroähnlichen Stadtbahnsysteme wie in Köln und Stuttgart. Daran angelehnt wurde in den 1970er Jahren die Light Rail Transit-Systeme in den USA entwickelte, die sich speziell aufgrund der beiden Ölkrisen rasant durchsetzen.


Zeitgleich wurden ab 1978 in Kanada und USA daher neue Straßenbahnsysteme nach dem Konzept errichtet, wobei oft alte, teils noch vorhandene Trassen stillgelegter Systeme mitverwendet wurden. So entstanden neue Straßenbahnnetze in Calgary, Dallas, Denver, Edmonton, Houston, Ottawa und Portland. Auch die wenigen Netze, welche die Stilllegungskrise überstanden hatten, z.B. Pittsburgh und Toronto, wurden ausgebaut und an die neuen Standards angepasst. Viele dieser Netze wurden zudem staatlich und städtebaulich gefördert, wobei die Züge anfangs teilweise aus Deutschland exportiert wurden.


Straßenbahn Grenoble (Quelle: Pixabay)

Kommen wir noch mal auf das Jahr 1987 zu sprechen. Im Jahr 1987 wurde das neue Straßenbahnnetz der französischen Stadt Grenoble eröffnet. Das Straßenbahnnetz von Grenoble war das weltweit erste, in dem von Anfang an nur Niederflurfahrzeuge eingesetzt wurden. Zudem wurden in der Folgezeit Maßstäbe gesetzt, indem der Straßenraum zugunsten der Straßenbahn verkleinert wurde und vielerorts auch Rasengleise verwendet wurden. Heute zählt das Netz zu den größten Netzen in Frankreich.


Die flinke Form der Straßburger Straßenbahn setzte neue Maßstäbe.

Ein besonderes Musterbeispiel war hier auch das elsässische Straßburg am Rhein, in dem das neue Netz 1994 eröffnet wurde. Das inzwischen größte französische Straßenbahnnetz umfasst sechs Linien, die fast alle Stadtteile mit der Innenstadt verbinden. Seit April 2017 besteht sogar eine Linie in die deutsche Stadt Kehl. Die Trassen wurden hier oft sehr aufwändig gestaltet und sind fast durchgängig begrünt. Zudem stellte Straßburg eine der ersten Städte in Frankreich dar, in denen ein Großteil der Innenstadt autofrei wurde und nun nur noch von Straßenbahnen erschlossen wird, die eine teils breite Fußgängerzone durchqueren. Da wie in Grenoble von Anfang an Niederflurwagen eingesetzt wurden und zudem sämtliche Bahnsteige perfekt angepasst wurden, wird die Straßburger Straßenbahn auch lokal als "Trottoir Rouloir" (zu deutsch "Rollender Bürgersteig") genannt. Außerdem sind die futuristisch gestalteten Straßenbahnen längst zur Touristenattraktion geworden.


Straßburg und Grenoble wurden übrigens zum Vorbild für viele andere Städte in Frankreich und Europa. Insbesondere in Frankreich lösten sie einen regelrechten Boom aus, der bis 2005 auch staatlich gefördert wurde. So entstanden seither in Frankreich neue Netze in Agglomerationen und Großstädten wie Avignon, Bordeaux, Dijon, Lyon, Orléans, Rouen, Tours und Valenciennes.

Straßenbahn Bordeaux: Rasengleis und APS - vorbildlich

Eine Sonderrolle nimmt hier Bordeaux ein, denn hier wurde erstmals ein neues Konzept ausprobiert: das Alimentation par Sol (APS). Hierbei handelt es sich um eine in der Straße eingelassene Stromschiene, durch welche die klassische Oberleitung obsolet wird. Die Stromschiene ist nur geladen, wenn die Straßenbahn darüber fährt. Dadurch kann das Stadtbild für Oberleitungsmasten geschützt wird und Kulturdenkmäler kommen besser zur Geltung. Inzwischen wurde das APS auch in vielen anderen Städten umgesetzt und wäre auch für viele deutsche Städte eine denkbare Alternative.

Die 1997 eröffnete Saarbahn ist eines von nur drei Beispielen der Renaissance der Straßenbahn in Deutschland.

In Deutschland geht die Renaissance der Straßenbahn eher schleichend voran. Neue Netze wurden in Heilbronn, Oberhausen und Saarbrücken errichten; seit den 1990er Jahren werden neue Netze aber auch in vielen anderen Städten immer wieder ins Gespräch gebracht. Zuletzt scheiterte der Bau einer Straßenbahn Wiesbaden an einem Bürgerentscheid gegen die Linie. Oft scheitern Projekte aber an der Finanzierung, da eine flächendeckende, konsequente städtebauliche Förderung wie Frankreich fehlt.

Allerdings wurden viele nicht stillgelegte Netze wie in Augsburg, Berlin, Mannheim oder München wesentlich ausgebaut. Eine herausragende Rolle spielte auch das Karlsruher Modell. Nach diesem Konzept des Karlsruher Verkehrsplaners Dieter Ludwig war es möglich, dass Straßenbahnen auch Eisenbahngleise mitbenutzen konnten, da sie sich nicht nur die gleiche Spurweite teilen, sondern auch auf die entsprechende Oberleitungsspannung umschalten können. Das Karlsruher Modell wird international auch als „Tram-Train“ bezeichnet. In Deutschland wurde es in Kassel und Saarbrücken umgesetzt.


Inzwischen hat sich die Renaissance der Straßenbahn weltweit ausgebreitet. Vor allem im Mittelmeerraum entstanden viele neue Straßenbahnnetze, aber auch in Asien und anderen Teilen der Welt wird wieder rigoros auf die Straßenbahn gesetzt.

Weiterführende Links:


Empfehlenswerte Literatur:

* Reinhart Köstlin: Renaissance der Straßenbahn, Basel, 1987.

* Christoph Groneck: Neue Straßenbahnen in Frankreich, Nürnberg, 2003.

* Klaus Bindewald: Die Albtal-Verkehrsgesellschaft, Heidelberg, 2007.


 
 
 

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