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Lindenauer Hafen

Aktualisiert: 11. Juni 2022

Der Lindenauer Hafen ist heute eine wenig bekannte Investitionsruine. Dabei war der Plan, der hinter dem Projekt einst stand genial: Man wollte Leipzig an das Reichsschifffahrtsstraßennetz anschließen. Doch durch Einbruch des Zweiten Weltkriegs und der Deutschen Teilung wurde das Projekt abgebrochen und nie vollendet. So ist Leipzig bis heute neben München die einzige deutsche Großstadt mit mehr als 500.000 Einwohnern ohne Anschluss an das Bundeswasserstraßennetz.

Saale-Elster-Kanal bei Günthersdorf (Quelle: Jens Simon, Wikipedia)

Bereits im 18. Jahrhunderten wurden unter König Friedrich August I von Sachsen eine Wasserstraßenverbindung geplant, die Unstrut, Saale und Elster miteinander verbinden sowie Leipzig an das Bundeswasserstraßennetz anbinden sollte. Allerdings wurde dieses Projekt durch die Napoleonischen Kriege jäh unterbrochen. Unter dem Leipziger Stadtverordneten Karl Heine wurde Mitte des 19. Jahrhunderts zwar wieder aufgegriffen, wobei der Karl-Heine-Kanal entstand, aber nie vollendet.

Erst in der Weimarer Republik wurde die Pläne wieder angeknüpft, wobei das Kanalprojekt als Südflügel des zu Beginn des 20. Jahrhunderts in seiner rezenten Form vollendeten Mittellandkanals vermarktet wurde. Am 11. Juli 1933 wurde schließlich mit dem Bauarbeiten begonnen, wobei bis zu 2.000 Arbeitskräfte gleichzeitig beschäftigt waren. Der Kanalbau wurde als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme vorwiegend unter den vielen Arbeitslosen angeworben. Im Jahr 1934 war die Baustelle eine der größten im Deutschen Reich. Der Kanal war mit einer Tiefe bis zu 37 m für zweischiffigen Betrieb mit den damals modernsten 1000t-Kanalschiffen ausgelegt.

Schleuse Wüstenneutzsch (Quelle: Jens Simon, Wikipedia)

Bis 1936 gingen die Bauarbeiten recht zügig voran. Mit der dann beginnenden Aufrüstung verringerte sich die Intensität der Bauarbeiten, obwohl die neuartigsten Baumaschinen jener Zeit im Einsatz waren. Bis zum kriegsbedingten Ende der Bauarbeiten im Jahr 1943 entstand vor allem die sogenannte Dammstrecke, die bis heute gut im Relief erkennbar ist und bis etwa Zschöchergen inzwischen geflutet wurde. Mittels Tunneln und Brücken über- und unterqueren sogar verschiedene Feldwege und Straßen den Kanal. Zudem entstand die bombastische Schleuse von Wüstenneutzsch, die heute als Investitionsruine verloren und teilweise überwuchert in der Landschaft steht.

Die Schleusenruine von Wüstenneutzsch gehört heute zu den größten deutschen Investitionsruinen. Bei einer Investitionsruine handelt es sich um ein Bauwerk, dass aus finanziellen Gründen nie vollendet wurde und meist ohne direkt sichtbaren Grund funktionslos in der Landschaft steht. Meist handelt es sich bei Investitionsruinen um Industriedenkmäler. Im weiteren Sinne kann man jedoch auch viele anderen unvollendete Kirchen oder sonstige Bauwerke als Investitionsruine bezeichnen, wobei vor allem Kirchen trotz nie erfolgter Fertigstellung häufig der ursprünglich Funktion dienen. Auf andere Beispiele zu anderen Investitonsruinen werde ich weiter unten in diesem Artikel noch näher eingehen.

Lindenauer Hafen, 2018

Zunächst möchte ich nämlich noch auf den im Rahmen des Kanalprojekts entstandenen Lindenauer Hafen eingehen, der heute ebenfalls als Investitionsruine gilt, obzwar er spätestens seit der Wiedervereinigung durch Konversion umgenutzt wird. Dieser Hafen war als Leipziger Umschlagplatz entlang des Kanals geplant und hätte es ermöglicht, Güter nachhaltig per Schiff nach Leipzig zu transportieren. Das Hafenbecken wurde 1938 ausgebaggert und sollte über zwei Hafenbecken verfügen. Es war dafür ausgelegt, je Kai zwei Schiffe löschen zu können. Mit der Einstellung der Bauarbeiten bestand kein Anschluss des Hafen an Karl-Heine-Kanal und Saale-Elster-Kanal.


Von 1945 bis 1996 wurde die fertiggestellten Lager- und Speicherhäuser des Hafens entsprechend genutzt, obwohl der Hafen nie für das geplante Zielrichtung verwendet wurde, weswegen man eigentlich gar nicht von einem „Hafen“ sprechen kann. Obwohl die Gebäude 1997 unter Denkmalschutz gestellt wurden, verfallen sie heute zusehends. Das gesamte Areal umfasst eine Fläche von 40 ha. Allerdings wurde das Becken am 18. Juli 2012 endlich geflutet, als vom Stadtrat die Anbindung des Hafengeländes an den Karl-Heine-Kanal beschlossen wurde. Seitdem 2. Juli 2015 ist die Strecke für den Bootsverkehr freigegeben. Wann eine Verbindung des Hafens mit dem bereits gefluteten Teil des Saale-Elster-Kanals erfolgt, ist aktuell nicht absehbar.

Beginn des Saale-Leipzig-Kanals am Lindenauer Hafen

Seit 1945 gab es immer wieder Bestrebungen den Saale-Elster-Kanal, der seit den 1950er Jahren hauptsächlich als Saale-Leipzig-Kanal vermarktet wird, fertigzustellen. Konkrete Pläne wurden dazu jedoch bislang nicht erstellt. Obzwar insbesondere während der Ölkrise und dem beginnenden ökologischen Umdenken ab den 1970er Jahren im Hinblick auf nachhaltigen Schifffahrtsverkehr die Idee immer konkreter wurde, kam es nie zu verbindlichen Beschlüssen oder Planfeststellungen. Leider wird zudem die Wirtschaftlichkeit immer wieder hinterfragt, da es schwierig sein wird, den die Straße dominierenden Güterverkehr auf Schiffe zu verlagern.

Statt der Schleuse Wüstenneutzsch soll ein Schiffshebewerk wie in Falkirk, Schottland, entstehen (Quelle: Pixabay)

Unter dem Motto „Von der Elster an die Alster“ wird von Bürgerinitiativen jedoch zumindest eine touristische Nutzung des Kanals angestrebt. Laut 2011 durchgeführten Potentialanalyse werden eine halbe Millionen Touristen erwartet, die den Kanal nutzen würde; zudem haben einige anliegende Industriebetriebe sogar ihr Interesse an einer möglichen Nutzung bekundet. Im Rahmen der zumindest theoretisch relativ weit fortgeschrittenen Planung zu dessen Umsetzung soll neben der Schleuse Wüstenneutzsch ein Schiffshebewerk nach dem Vorbild der Anlage im schottischen Falkirk entstehen. Entlang des Kanals soll auf dem alten Wirtschaftsweg ein Radweg entstehen.


Als Problem wird aber vor allem die Finanzierung genannt. Besonders der Bau des Schiffshebewerks könnte nach Meinung der Kritiker unnötige Kosten verschlingen. Zudem sei nicht geklärt, ob die Nachfrage hoch genug sein wird, dass sich diese Kosten rechtfertigen. Daher fehlt seitens des Saalekreise die Motivation zur Finanzierung, obwohl die Städte Leuna und Leipzig sowie Halle sich bereits für das Projekt ausgesprochen haben. Dennoch taucht das Kanalprojekt als Leuchtturmprojekt im Tourismuswirtschaftliche Gesamtkonzept für die Gewässerlandschaft im mitteldeutschen Raum auf.

Ähnlich wie der Saale-Leipzig-Kanal wurde auch der Wiener Stephansdom nie vollendet. (Quelle: Pixabay)

Wie bereits geschildert, gibt es aber auch viele andere unvollendete Bauprojekte. Einige dieser Projekte sollen hier kurz vorgestellt werden. Dass auch der Wiener Stephansdom ein solches unvollendetes Projekt ist, ist jedoch wenig bekannt. Tatsächlich war aber bei diesem jedoch einst zwei Türme geplant, von denen jedoch nur der Südturm vollendet wurde, während der Nordturm nur ein provisorisches Dach bekam und nie die Höhe des anderen Turmes erreichte.


Um den Nordturm ranken sich daher viele Sagen, nach den meist der Teufel Schuld an der nicht erfolgten Fertigstellung haben soll. Faktisch wurde der Bau jedoch aus finanziellen Gründen die Bauarbeiten im 15. Jahrhundert eingestellt und, anders als bei vielen anderen deutschsprachigen gotischen Kirchen, die lange unvollendet blieben, wie dem Kölner Dom, nicht wieder aufgenommen.

Der Südturm des Stephansdomes gehört heute mit einer Höhe von 137 m zu den zehn höchsten Kirchtürmen der Welt. Ursprünglich war er wesentlich niedriger geplant, aber im Konkurrenzkampf mit Köln, Straßburg und Ulm wurden seine Pläne ständig überarbeitet, was ein Grund für die entstanden finanziellen Schwierigkeiten sein könnte. Tatsächlich überragen alle drei Kirchtürme, mit denen der Dom im Konkurrenzkampf war, den Turm des Stephansdomes, wobei das Straßburger Münster aus demselben Grund unvollendet blieb.

Bertzit-Turm (Quelle: S. John, Elsterwerda, Wikipedia)

Eine weiterer Turm, der unvollendet blieb ist der Bertzit-Turm bei Kahla in Brandenburg. Hierbei handelt es sich um eine typische Investitionsruine, da der Turm nie dem geplanten Zweck diente und heute ohne ersichtliche Funktion in der Landschaft verrottet. Der 35 m hohe Turm ist heute eine weithin sichtbare Landmarke, die unter Denkmalschutz steht.

Der Turm wurde als Teil einer Anlage zur Braunkohleveredelung in unmittelbarer Nachbarschaft zur Braunkohlegrube Ada in den 1920er Jahren geplant. Warum die Anlage nie vollendet wurde, ist bis heute nicht abschließend geklärt, da die Grube im Umfeld noch bis in die 1990er sehr ertragreich war. Der Name des Turmes leitet sich davon ab, dass das Verfahren zur Braunkohleveredelung, das hier angewandt werden sollte, auch Bertzit-Verfahren genannt wird. Bei diesem Verfahren werden feuchte Böden wie Torf oder andere feuchte braunkohlige Böden getrocknet.

An die als „Strategischer Bahndamm“ bezeichnete unvollendete Bahnstrecke erinnern die Brückenpfeiler bei Ahrweiler.

Viele Investitionsruinen und unvollendete Bauprojekte sind wie der Saale-Leipzig-Kanal ebenfalls Verkehrsprojekte. Dazu zählt auch der südliche Abschnitt des Strategische Bahndamm bei Ahrweiler. Dieser war als Umfahrung des Großraums Köln-Aachen als militärische Verbindung an die deutsch-französische Grenze geplant. Während das nördliche Teilstück fertiggestellt wurde, liegt der südliche Abschnitt bis heute brach. Bei Rommerskirchen entstand seinerzeit ein weithin sichtbarer, überbrückter Bahndamm, der heute als Feldweg dient, welcher namensgebend für das Projekt wurde.


Von Rommerskirchen aus sollte die Bahnstrecke ins Ahrtal geführt werden und bei Ringen über den Ausbau der vorhandenen Stecke(n) nach St. Vith in den Grenzbereich geführt werden. Um die kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs begonnene Strecke in das Ahrtal hinunterzuführen, entstanden oberhalb von Ahrweiler drei Tunnel sowie der Rohbau einer Brücke. Die Pfeiler der Brücke, die nie eine Fahrbahn besaß, werden heute als Kletterwand benutzt.

Vom Tunnel zum Regierungsbunker: Strategischer Bahndamm bei Ahrweiler (Quelle: Pixabay)

Zwei der der eben erwähnten Tunnel wurden nach dem Zweiten Weltkrieg zum sogenannten Ausweichsitz der Verfassungsorgane des Bundes, kurz auch Regierungsbunker genannt, umgebaut. Ob der Regierungsbunker tatsächlich im Ernstfall genutzt worden wäre, ist unklar, jedoch ist bekannt, dass trotz strengster Geheimhaltung seiner Existenz während des Kalten Krieges durch Spionage der sowjetischen und deutsch-demokratischen politischen Führung seine Lage bekannt war. Im Ernstfall wäre die deutsche Regierung daher womöglich nach Florida ausgeflogen worden.


Der Regierungsbunker, der außerhalb von Übungen seiner Funktion glücklicherweise nie nachkam, wurde inzwischen fast vollständig entkernt. Ein kleiner Teil ist jedoch heute museal erhalten und kann besichtigt werden. Bei der Besichtigung fühlt man sich prompt in die Zeit des Kalten Krieges zurückversetzt.

Sodabrücke der Strecke 46 bei Ruhpoden (Quelle: Störfix, Wikipedia)

Unvollendet blieben auch viele insbesondere im Dritten Reich geplante Reichsautobahnen. Während einige Autobahnen wie die Bundesautobahn A6 zwischen Saarbrücken und Mannheim größtenteils dem damaligen Streckenverlauf folgen, wurden teilweise aus Gründen der Rentabilität, des Naturschutzes oder sich ändernder sozioökonomischer Verhältnisse geplante Trassen jener Zeit nie ihrem Zweck übergeben. So entstanden in ganz Deutschland verteilte Sodabrücken, die einfach „so da“ sind. Die bekannteste dieser unfertigen Autobahnen ist die Strecke 46 zwischen Fulda und Würzburg.

Kernkraftwerk Mülheim-Kärlich, 2012

Ferner war auch das inzwischen abgerissene Kernkraftwerk Mülheim-Kärlich eine Investitionsruine. Dieses wurde Anfang der 1980er Jahre zur Energieversorgung der Region Mittelrhein-Westerwald als erste und einziges rheinland-pfälzisches Kernkraftwerk geplant und errichtet. Tatsächlich diente es aber nie seinem Zweck und wurde unmittelbar nach der Probephase 1988 bereits wieder abgeschaltet.


Merkwürdigerweise wurde beim Bau jedoch nicht bedacht, dass das Neuwieder Becken, in dem sich befindet, zu den seismisch und geologisch aktivsten Gebieten in Deutschland gehört, sodass hier regelmäßig schwache, gelegentlich spürbare Erdbeben stattfinden. Ein schwaches Erdbeben würde jedoch ausreichen, um ein Kernkraftwerk zur Gefahr zu machen. Sogar über Tschernobyl wurde bereits berichtet, dass es mitten in einer Grabenbruchzone befindet, was offenbar bewusst geheim gehalten wurde.


Das Kraftwerk Mülheim-Kärlich wurde zum Inbegriff der Gefahren von Kernenergie in Deutschland und war einer der bedeutendsten Zankäpfel der deutschen Antikernkraftbewegung. Als durch juristische Prüfung der Bau nachträglich für ungültig erklärt wurde, wurde bereits ab 2002 mit dem Rückbau der Brennstäbe und anderer gefährliche Bauteile begonnen. Im August 2019 wurde der markante Kühlturm, der über 30 Jahre als Landmarke gedient hatte, schließlich gesprengt.


Neben den vielen unvollendeten Projekten gibt es auch diverse Projekte, die seit Jahrzehnten geplant wurden, aber bis heute nicht mal im Rohbau gebaut wurden. Eines dieser Projekte ist ein Saar-Pfalz-Kanal von Saarbrücken über Homburg (Saar) und Kaiserslautern nach Ludwigshafen. Bis heute kommt das Projekt aufgrund seiner nachhaltigen Ausrichtung immer wieder ins Gespräch, obwohl parallel zur ursprünglichen Trasse teilweise die Bundesautobahn A6 verläuft, was eine Umsetzung erschwert. Über die Geschichte und Wirtschaftlichkeit wird es zeitnah einen eigenen Artikel geben.


Weiterführende Links und Literatur

* Video über den Strategischen Bahndamm auf meinem YouTube-Kanal

* Saale-Elster-Kanal erlebt Comeback in der Leipziger Volkszeitung


 
 
 

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